GASTKOMMENTAR. Impfungen wirken, Tests machen Sinn und immer noch gehen Menschen dagegen auf die Straße. Auch bei den sonntäglichen „Spaziergängen“ in Steyr. Wie kann man das einordnen? Corona verlangt uns alles ab. Freunde treffen wir bestenfalls auf der Straße, ...
Konzerte gibt es nur auf Youtube, Fußballspiele finden vor leeren Rängen statt. Besuche bei den Eltern sind nur mehr eingeschränkt möglich. Ein Seuchenjahr. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Einkommen versiegen. Die Staatshilfen, oftmals per Gießkanne breit gestreut, lassen erahnen: Irgendwann wird die auch jemand begleichen müssen. Wer was bekommt in Form von Kurzarbeit, Verdienstausfall und ähnlichem, der wird irgendwann und irgendwie eine Rechnung bekommen dafür. Novomatic hat, so erfahre ich, mehr als 20 Millionen Euro an Entschädigung erhalten. Ich ahne, dass die nicht alles 1:1 zurückzahlen müssen.
Jeder geht mit der Situation anders um: Ich zum Beispiel hoffe, dass das Seuchenjahr bald vorüber ist. Ich bin kein Teenager mehr, dem das Saturday Night Fever allzu sehr abgeht, man entdeckt allerlei Brettspiele neu am Wochenende. Meine Mutter im Altenheim kann ich nur sehr eingeschränkt besuchen. Sie nur einmal in der Woche zu sehen, mit Maske und nur eine Stunde lang ist mir allerdings lieber, als Ihren Partezettel beim Stiegler in der Enge aufhängen zu lassen. Ich trage ein Maske, wo es erwartet wird und sinnvoll ist – dort wo andere Menschen auch sind. Die Maske ist unangenehm, aber zweifelsohne zumutbar. Sie trägt dazu bei, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Vermutlich nicht zu 100 Prozent, ich würde die Maske auch tragen, wenn es nur 10 Prozent wären. Einfach deswegen, weil mein Unbill nicht der Rede wert ist.
In diversen Kanälen sehe ich bei Demonstrationen Menschen, die ohne Maske herumlaufen. Sie berufen sich dabei auf Atteste von Ärzten, die ihnen das Tragen von Masken als nicht zumutbar bescheinigen. Diese Leute wirken alles andere als außer Atem, sie sind munter, beredt und empört darüber, dass jemand ihr Maskenattest in Frage stellen könnte. Der (ehemalige) steirische Arzt Per Eifler hat sich ein schönes Taschengeld verdient mit derlei illegalen Gefälligkeitsattesten. Seine Zulassung als Arzt ist er aber los. Wie man hört, gibt es auch in Steyr Ärzte, die derlei „Befreiungsscheine“ eher ideologisch motiviert, denn sachlich fundiert ausstellen. Völlig unabhängig von der Frage, ob manchen Leuten eine Maske tatsächlich nicht zumutbar ist: Was haben Leute, die angeblich keine Maske tragen können, bei einer Demo auf der Straße verloren unter vielen Menschen? Wenn mir der Arzt wegen eines eitrigen Ausflusses am Zipferl das Tragen von engen Beinkleidern verbietet – gehe ich dann nackt ins Hallenbad und rechtfertige mich damit, dass ich keine Badehose tragen darf – oder kuriere ich meinen eitrigen Ausfluss einfach mal zu Hause aus?
Die Impfungen kündigen ein Licht am Ende des Tunnels an. Erfreulich sind aktuelle Nachrichten, wonach die Impfstoffe nicht nur den Geimpften schützen, sondern auch die Verbreitung des Virus eindämmen. Ich bin gegen eine physische Impfpflicht, sehe aber nicht ein, dass Geimpfte den Rucksack der Impfverweigerer einfach mittragen und dazu noch freundliche Nasenlöcher machen sollen. Natürlich wird es Vorteile geben für Personen, die sich impfen lassen. Man darf mit dem Impfpass wieder früher ins Kino, auf den Vorwärtsplatz, ins Akku oder Röda, zum Stammtisch und in die Sauna. Was sonst?
Letztlich wird es auf ein „3G-Netz“ hinauslaufen: Wer (1.) geimpft ist, oder (2.) getestet ist (negativ und für 48 Stunden) oder (3.) genesen ist (und Antikörper aufweist), dem wird sich die Normalität rascher wieder öffnen als dem Verweigerer. Mein Mitleid für „Totalverweigerer“ hält sich in Grenzen. Sich nicht impfen zu lassen, das halte ich für dumm, angesichts einer seit mittlerweile 200 Jahren (!) etablierten Gräuelpropaganda gegen Impfungen verstehe ich zumindest, woher diese Menschen ihre Motivation haben. Sich nicht testen zu lassen, da hört sich meine Toleranz aber auf. Ein Staberl in der Nase ist unangenehm, daraus eine Affäre zu machen, ist peinlich. Wer sich nicht impfen lassen will und zudem auf der Unversehrtheit seines Nasenlochs besteht, der muss halt Einschränkungen in Kauf nehmen. Besonders peinlich ist es, wenn Kinder für bizarre Ideologien dahinter in Geiselhaft genommen werden. Die Impulsschule in Münichholz hat zur Zeit jede Menge zu tun mit dem Vater eines Schülers, der sein Kind just zur Schule schicken will, den harmlosen Test aber strikt ablehnt. Er schreibt der Schule elendslange Briefe und argumentiert, dass Viren „die Basis für unsere Gesundheit sind und nicht unsere Feinde“. Gibt es dazu noch Fragen?
Die „Spaziergänge“ in Steyr werden auch kleiner, wie man sieht. Ein Sammelsurium von Menschen, die keine Masken tragen wollen, sich nicht impfen lassen wollen, sich nicht testen lassen wollen. Sie segeln unter dem Banner „Friede, Freiheit, keine Diktatur“. Was heißt das? Die Freiheit, andere zu infizieren? Diese Menschen sind zweifelsohne verunsichert ob einer beschissenen Situation. Sie sehnen sich nach einer Welt, in der es noch Wicki, Slime und Piper gab und keinen Virus. Und damit wir das nicht vergessen: Sie sind aufgestachelt von einer FPÖ, die den Menschen vorgaukelt, ihnen eine vertraute und übersichtliche Welt mit Wicki, Slime und Piper zurückzubringen. Vor ein paar Wochen haben sich der blauen Stadtrat Ritter und der blaue Vizebürgermeister Zöttl eingereiht in die Kolonne, demonstrativ ohne Maske. Die beiden noblen Herren sind ohne Strafmandat davongekommen. Ihre gutgläubigen Fans dürfen demnächst einen Erlagschein ausfüllen.
Wir sehen es einmal mehr: Es gibt nichts politischeres, als die Dummheit.
Christian Kreil befasst sich seit Jahren mit Verschwörungsplaudereien und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch „Fakemedizin“.
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