Vaginale Spülungen mit Chlordioxid? Ein Desinfektionsmittel gegen Krebs? Der Mann, dem ein Steyrer FPÖ-Politiker Vertrauen schenkt, kennt keinen Genierer.

GASTKOMMENTAR. Der Steyrer Vizebürgermeister Helmut Zöttl ist ganz hin und weg in Dietach: "Ich glaube, dass das eine ganz große Errungenschaft ist in der Medizin." Zunächst vermuten wir: Der FPÖ-Politiker lauschte dem Vortrag eines Nobelpreisträgers für Medizin, der sich zum Wirt im Feld verirrt hat. Und kurz darauf bemerken wir: Der Vizebürgermeister spricht in ein Mikrofon des Garstener Milieuportals RTV. Das ist nicht ganz die erste Adresse in Sachen Wissenschaft. Nur so nebenbei: Das Videoteam hat vor ein paar Jahren Zweifel an der Mondlandung angemeldet: „Haben die Herren der NASA ein wenig geflunkert?“ Der geübte Medienkonsument weiß: RTV und Wissenschaft, das ist passt so gut zusammen wie Sexshop und Sixtinische Kapelle oder wie Lance Armstrong und Ehrlichkeit im Radsport.

Chlordioxid als vaginale Spülung: gegen Gebärmutterkrebs und Schwangerschaft
Zurück zur Sache, zurück zu Vizebürgermeister Zöttl und dem von ihm gepriesenen Kalcker. Der deutsche Staatsbürger referierte auf Einladung des Vereins „RTV – mein Verein“ zum Thema „Das Unmögliche ist jetzt“. Der Titel des Vortrags riecht nicht ganz so scharf wie der Inhalt des Vortrags: Chlordioxid. Damit bleicht die Industrie Papier, damit kann man den Pool säubern oder das WC. Kalcker indes bewirbt eine Chlordioxidlösung – genannt CDL – als Heilmittel. Und zwar gegen fast alles: Von Fußpilz bis Malaria, von Hämorrhoiden bis Krebs. Werfen wir einen Blick auf die Webseite Kalckers: Dort sind 26 „Protokolle“ angeführt, mit Indikationen und Behandlungsempfehlungen. Das „Protokoll V“ steht für vaginale Spülung mit CDL. Indiziert wäre das Putzmittel laut Kalcker nicht nur bei Blasenentzündungen und Gebärmutterhalskrebs. Die vaginale Spülung mit CDL – so erfahren wir - sei auch ein Verhütungsmittel, und zwar „nach dem Geschlechtsverkehr (…) weil es die Spermien unbeweglich macht.“ Kalcker, das muss der Mann sein, dem die Frauen vertrauen und der Steyrer Vizebürgermeister. Kalcker sagte am Rand seines Vortrags in Dietach zu CDL: „Wir stehen vor der größten Entdeckung der Medizin der letzten 100 Jahre.“ Zöttl gefällt das.

Kalcker ist schlicht und einfach ein Scharlatan
Ohne jetzt Spielverderber sein zu wollen für die bunten Abende von RTV und dem skurrilen Gast, den der Vizebürgermeister von Steyr lobt, ein paar Fakten: Kalcker ist weder Pharmazeut noch Arzt. Es gibt keine ernstzunehmende Studie, die CDL als Arznei bestätigen würde. CDL hilft niemandem, außer dem Konto derjenigen, die Chlordioxid als Medizin verchecken. Gegen Kalcker wurden in Argentinien und Spanien Strafverfahren eingeleitet. Bei der Anwendung von CDL drohen schwerste Vergiftungen und Verätzungen, auch Todesopfer sind belegt. Unter anderem der eines fünfjährigen Buben, dem CDL von seinen Eltern verabreicht wurde. Kalcker ist ein Scharlatan, der das alles in Kauf nimmt für seinen „Ruhm“ und sein Geschäftsmodell: Leichtgläubigen Leuten Blödsinn einzureden und sie zum Einnehmen von Putzmitteln zu ermuntern.

Zöttl ist weder dumm noch naiv, noch ist er etwas Großem auf der Spur

  1. Was treibt Zöttl an, zu diesem Schwachsinn freundliche Nasenlöcher zu machen? Es gibt drei Möglichkeiten: Zöttl und Kalcker sind einer großen Verschwörung auf der Spur und das Heil steht knapp bevor. Demnächst wird die große Lüge der Pharmariesen zusammenbrechen wie ein Kartenhaus und fortan wird eine glückliche und erwachte Menschheit Chlordioxid schlabbern, um sich gegen Gelbfieber zu wappnen, gegen Speiberei, Migräne, Scheidenpilze, ADHS und Tumore aller Art. Das wäre schön für uns, es ist aber sehr unwahrscheinlich.
  2. Zöttl ist so dumm, um das alles zu glauben, was Kalcker erzählt. Das wäre nicht schön für ihn und es ist unwahrscheinlich. Zöttl hat einen Doktortitel, damit sollte er das Rüstzeug haben, wirre Behauptungen von angeblichen Wissenschaftern zu unterscheiden. Wenn Zöttl eine akademische Ausbildung hat, kann er Kalcker nicht ernst nehmen.
  3. Zöttl spielt das Spiel eines Scharlatans mit, weil er damit bei seiner Zielgruppe punkten kann. Zöttl agiert strategisch. Das ist nicht schön für die Leute, die Zöttl vertauen, aber es ist sehr wahrscheinlich.

Herr Zöttl, hier hört sich der Spaß auf!
Und hier hört sich der Spaß auf. Zöttl tritt in dem RTV-Beitrag als Vizebürgermeister der Stadt Steyr auf. Die Videofreunde des Portals haben sich Zöttl nicht von ungefähr vor die Kamera geholt, um ihren Protege Kalcker zu feiern. Ein Vizebürgermeister gibt was her, der Titel verspricht Kompetenz, das peppt jeden Schwachsinn ein bisserl auf. Zöttl weiß das. Er hat sich offensichtlich nicht dagegen verweht, dem Vortrag Kalckers nicht nur als interessierter Kiebitz beizuwohnen. Sonst würde er in seinem Statement im RTV-Beitrag nicht als Vizebürgermeister betitelt werden.

Herr Zöttl: Sie haben Verantwortung, tragen Sie diese bitte auch!
Was Sie, Herr Zöttl privat glauben und wem Sie beim Wirt im Feld an den Lippen hängen, interessiert uns nicht. Sie dürfen im Hoghwarts-Express Zaubertricks von Harry Potter üben, wenn es Ihnen danach ist. Sie dürfen auch einen Segeltörn an den Rand der Scheibe buchen, sollte einst ein RTV-Reisebüro so etwas anbieten. Sie dürfen den verdünnten Inhalt einer WC-Ente gurgeln, wenn Kalcker dergleichen propagiert. Das alles wäre ihre Privatsache.

Was nicht privat ist: Als Vizebürgermeister einen Scharlatan bei der Verbreitung seiner gefährlichen Obsessionen zu unterstützen. Die Narrenfreiheit ist dem erratisch agierenden Videoportal RTV zugestanden, von dort kennen wir kaum anderes. Ihre Narrenfreiheit endet aber dort, wo die Gesundheit gefährdet wird. Kalcker gefährdet die Gesundheit, vor allem von Menschen, die aus Bildungsgründen das Povoir zum Durchschauen und Dechiffrieren der faulen Tricks diverser Schlangenölverkäufer nicht haben. Notabene: Es sind vor allem Leute aus Ihrer politischen Zielgruppe, die Kalcker mit seinem Humbug gefährdet.

Sie haben Verantwortung als Vizebürgermeister und Politiker. Leider sind Sie nicht bereit, diese auch zu tragen.

Ein Gastkommentar von Christian Kreil.

 

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