GASTKOMMENTAR. Bis vor etwa fünf Jahren war ich Kunde im Nets.werk Steyr, aus Überzeugung. Weil ich davon ausgehe, dass biologische Landwirtschaft und faire Preise für regionale Produzenten Sinn machen. Dann hat man mir dort den Vortrag eines „Freeman Austria“ in Steyr empfohlen ...
Der war ein lustiger Schrat im Hippie-Outfit und mit Ziegenbart. Weniger lustig habe ich den Herrn empfunden, nachdem ich mir seine Weisheiten angehört habe. Der Freeman hatte erzählt: Der Euro gehöre den Rothschilds und den Rockefellers (Link zum Video).
Eine "Freie Energiemaschine" wäre um 10.000 Euro pro Stück für jeden Österreicher zu haben. Die sollten wir uns zum Beispiel leisten, anstatt Zinsen zu bedienen. Außerdem könne man googeln, wer am zweiten Weltkrieg verdient habe (Link zum Video).
Ich war mir damals sicher, dass dem „Nets.werk Steyr“ die absurden und antisemitischen Thesen des Freeman einfach nicht bekannt sind und habe sie darauf aufmerksam gemacht. Die Antwort war ernüchternd: Ich solle mir doch bitte selbst beim Vortrag des „Freeman“ in Steyr „meine Meinung bilden“, außerdem hätten treue Kunden des Netzwerks den Herrn wärmstens empfohlen. Seitdem bin ich kein treuer Kunde mehr.
Der Darling des „Nets.werks“ im Verdacht der Holocaustleugnung
Gegen den Freeman Austria, der offenbar die Herzen eines Steyrer Bionetzwerks erobern konnte, wurde etwas später von der Staatsanwaltschaft wegen Holocaustleugnung ermittelt. Der Freeman hat am Rad ganz schön weitergedreht. Er behauptete, dass wir das von den Gaskammern im Dritten Reich „nur gehört haben“, er machte kecke Anspielungen: Er habe in Mauthausen als Schüler viel gesehen, aber er habe ja auch den Superman im Fernsehen gesehen (Link zum Video). Der Freeman selbst bezeichnet mich in einem eher bizarren Video als „Zecke“ (Link zum Video). Er war nicht gut auf mich zu sprechen, nachdem ich ein paar arglose Veranstalter auf die Hintergründe des Herrn aufmerksam gemacht hatte, und er deswegen von mancher Sause ausgeladen wurde.
Die volle Dröhnung als „Perspektivenweitung Corona“
Fünf Jahre zogen ins Land, und erneut tritt der Bioladen „Netz.werk“ in mein Leben. In seinen Newslettern empfiehlt mir der Biovertrieb unter dem Claim „Perspektivenweitung Corona“ (Link) zwar keinen „Freeman“ mehr, dafür alles, was Rang und Namen hat in der Szene der Verschwörungsplauderer, unter anderem: Ein Lob für Sucharit Bhakdi, dessen Buch „Corona Fehlalarm?“ ein offensichtlicher Fail war (Link). Wir finden einen Aufruf zur Unterzeichnung der „Great Barrington Erklärung“. Die stammt von einem neoliberalen Think-Tank aus den USA, der gerne ein bisserl weniger Lockdown hätte und die Toten aus der Gruppe der Unnützen und Alten gerne mit dem wirtschaftlichen Gedeihen gegenrechnen würde. Über Greta Thunbergs „Klimahysterie“ macht man sich in dem Institut schon mal lustig.
Ich finde einen Hinweis auf die Sekte des angeblichen Heilers „Bruno Gröning“. Dessen Anhänger verehren schon einmal Stanniolkugeln, in denen sich Haare, Zehennägel oder das Sperma von Sektenchef Bruno Gröning befinden sollen. Bleibt nur zu hoffen, dass derlei im Bioladen nicht nicht als Geheimtipp gegen Covid-19 gehandelt und neben den fair gehandelten Mandarinen gelagert wird. Neu sind diese Hinweise: Ein Link zu einer „Petition gegen Masken“ und der Hinweis auf einen soeben gegründeten „Außerparlamentarischen Untersuchungsausschuss Corona“.
Außerparlamentarisch? Hinter dem „Ausschuss“ stehen ein paar Anwälte, die offenbar auf Demokratie und Parlamentarismus gepflegt pfeifen. Den hat vor kurzem bei einer Covidioten-Kundgebung in Linz auch ein selbsternannter „Exorzist“ aus Sierning angekündigt. Die Damen und Herren des „Ausschusses“ würden gerne gegen unliebsame Personen Anklagen erheben (Link zum Video). Und das alles gefällt dem „Nets.werk“.
Wär es nicht traurig, so könnte man das Agieren des „Nets.werk“ als Komödie bezeichnen. Ich befürchte nur, das „Nets.werk“ meint das alles ernst.
Ein Gastkommentar von Christian Kreil
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